Der lange Weg zur Lutherbibel (Teil 1)

Der 500. Jahrestag der Reformation der Kirche durch Martin Luther, der am 31. Oktober 2017 von der reformierten Chris-tenheit gefeiert wird, ist untrennbar ver-bunden mit Luthers Bibelübersetzung ins Deutsche. Aus Anlass dieser einmaligen und historischen Leistung, die Luther, Professor der Theologie, vier Jahre nach der Reformation in Angriff nahm, soll im Folgenden an den langen Weg bis zur heutigen Lutherbibel erinnert werden.
Die Lutherbibel, eine Übersetzung des Al-ten und des Neuen Testaments ins Deut-sche, ist für den deutschen Protestantis-mus das zentrale Buch, das sich aus Lu-thers „Biblia Deudsch“ bis in die Gegen-wart entwickelt hat. In der Evangelischen Kirche (EKD) wie auch in der Neuapos-tolischen Kirche (NAK) ist die Lutherübersetzung in der revidierten Fassung von 1984 der zum gottesdienstlichen Gebrauch benutzte Bibeltext. Doch wenden wir den Blick einmal 500 Jahre zurück.
Luther auf der Wartburg

Auf dem Rückweg vom Reichstag zu Worms im Jahre 1521 wurde Luther angeblich entführt. Tatsächlich jedoch hatte ihn Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen auf die Wartburg in Sicherheit gebracht, um ihn für eine begrenzte Zeit vor weiteren Strafmaßnahmen durch den Papst in Rom und durch den Kaisers zu schützen. Zuvor hatte Luther vor dem Reichstag einen Widerruf seiner reformatorischen The-sen abgelehnt mit der Konsequenz, dass über ihn die Reichsacht wegen Ketzerei verhängt wurde (Wormser Edikt).
Da saß er nun inkognito als „Junker Jörg“ in seinem einsamen Exil auf der Wartburg von Mai 1521 bis zum März 1522 und widmete sich auf Anraten Philipp Melan-chthons der Übersetzung des Neuen Testaments ins Deutsche. Melanchthon, deutscher Theologe, Humanist und Philosoph, war neben Luther eine treibende Kraft der deutschen und europäischen Reformation. Luther vertiefte sich mit In-brunst in die griechischen Texte des Neuen Testaments, so dass er es fertig brachte, in nur elf Wochen eine erste Auflage der Übersetzung im September 1522 vorzulegen.

Exkurs: Die Urtexttreue Luthers


Bei seiner Ankunft auf der Wartburg hatte Luther lediglich eine hebräische Bibel und ein griechisches Neues Testament in der Ausgabe des Erasmus von Rotter-dam in seinem Gepäck. Hinzu kam noch eine lateinische Übersetzung, bei der es sich um die Vulgata gehandelt haben dürfte.
Zum besseren Verständnis muss man wissen, dass Luther das Neue Testament wie erwähnt aus dem griechischen Urtext übersetzt hat, nicht aus dem Lateini-schen, wie oft fälschlich angenommen wird. Die lateinische Vulgata, die während der ersten Jahrhunderte nach Christi Geburt entstand, war für Luther ebenso wie die griechische Septuaginta nur ein Hilfsmittel bei seiner Übersetzungsarbeit, ob-wohl die Vulgata ab dem 8. Jahrhundert im ganzen westlichen Christentum in Ge-brauch war und später als einzig gültige Bibel angesehen wurde. Mit der Reforma-tion Martin Luthers im 16. Jahrhundert und seiner Bibelübersetzung aus den Urtex-ten hebräisch (AT) und griechisch (NT) begann der Niedergang der Vulgata. Die protestantische Bewegung lehnte die Vulgata wegen ihrer vielen Fehler weitge-hend ab und bevorzugte die Originalsprachen hebräisch bzw. griechisch. Es ist ebenfalls interessant, dass Luther, der über gute Hebräisch- und noch bessere Griechischkenntnisse verfügte, bereits existierende Übersetzungen möglichst ig-norierte, wie z. B. auch die Septuaginta, die ab 250 vor Christi Geburt entstand und vorwiegend im ägyptischen Alexandria von Gelehrten aus dem Aramäisch-Hebräischen ins Griechische übersetzt worden war. Die Septuaginta stellt somit eine Übersetzung der alten Schriften in die damalige griechische All-tagssprache dar. Noch heute ist die Septu-aginta in den Ostkirchen die wichtigste Version des Alten Testaments. Hieraus wird deutlich, dass alle Bibelübersetzungen, die vor Luther erschienen waren, im Wesentlichen auf der Vulgata und der Septuaginta beruhen und keine Urtexte sind.
Es war Luther wichtig, diese teilweise schwer verständlichen Texte für seine eigene Arbeit weitgehend zu umgehen und sich auf die Ur-texte zu konzentrieren. Jede Übersetzung der Bibel ist zugleich eine Neuinterpretation, die reichlich Stoff für Diskussionen bot und bietet. Denn bei einer Übersetzung wird nicht nur der literarische Wortlaut der Bibel transportiert, sondern auch der theologische Inhalt. (Wolfgang Weber)